In einem gemeinsamen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsident*innen bekräftigen 309 Organisationen – darunter der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein –, dass sie zu einer Gesellschaft gehören wollen, die politisch Verfolgte und vor Kriegsgewalt und Überlebensnot fliehende Menschen menschenwürdig aufnimmt.
Ausgerechnet am Internationalen Tag des Flüchtlings, dem 20. Juni, wollen der Kanzler und die Ministerpräsident*innen der Länder während ihrer gemeinsamen Tagung die Möglichkeiten der Externalisierung des Asylverfahrens – was im Ergebnis auf die Eliminierung der als Lehren aus dem Nationalsozialismus hervorgegangenen grund- und völkerrechtlichen Schutzversprechen für Geflüchtete hinausliefe – ausloten. Das Bundesinnenministerium wird einen Sachstandsbericht zu einem Prüfauftrag vorlegen, der bei Bund-Länder-Beratungen im November 2023 beschlossen wurde.
Heute fordert das Bündnis diesen erneuten Flüchtlingsgipfel auf, die Auslagerung von Asylverfahren und die damit einhergehenden uneinlösbaren Versprechen, Schutzsuchende künftig außen vor zu halten, klar abzulehnen und sich stattdessen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft für eine zukunftsfähige Aufnahme von Schutzsuchenden in Deutschland stark zu machen.
Die Organisationen warnen vor der Auslagerung von Asylverfahren. Bisherige Versuche zeigen, dass sie zu mehr Leid bei den Betroffenen und Menschenrechtsverletzungen führen, nicht funktionieren und extrem teuer sind. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein konsequentes Einstehen für die Menschenrechte für alle, so das Bündnis.
In Schleswig-Holstein haben neben dem Flüchtlingsrat u.a. das Medibüro Kiel e.V., die Refugee Law Clinic Kiel e.V., die AWO Interkulturell e.V., der Paritätische, die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, die Kampagne „Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo!“, der lifeline-Vormundschaftsverein e.V., die Refugio Stiftung SH, der Christliche Verein zur Förderung Sozialer Initiativen Kiel e.V., der Verein Fremde brauchen Freunde aus Nordfriesland, der Freundeskreis Asyl Altenholz und Umgebung, die Kirchengemeinde Sandesneben, das Lübecker Flüchtlingsforum e.V., die Omas gegen Rechts Kiel und die ZBBS e.V. den Offenen Brief unterzeichnet.
Das Bündnis wurde initiiert von PRO ASYL, dem Paritätischen Gesamtverband, Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt, Diakonie Deutschland und Amnesty International. Der offene Brief mit den unterzeichnenden Organisationen ist hier und im Anhang zu finden.
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat SH e.V., T. 0431-5568 5640, public[at]frsh.de
Offener Brief von über 300 Organisationen an die MPK v. 19.6.2024 im Wortlaut:
Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern!
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten,
Menschlichkeit ist sowohl in Deutschland als auch in Europa die Basis unseres Zusammenlebens. Sie zu schützen ist unsere gesellschaftliche Pflicht. Dazu gehört auch: Die unbedingte Achtung der Menschenwürde. Sie steht aus gutem Grund seit 75 Jahren in unserem Grundgesetz und gilt für alle Menschen, egal woher sie kommen.
Ausgerechnet am Weltflüchtlingstag beraten Sie die Idee der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes aus Deutschland und Europa in Drittstaaten. Wir, 309 Organisationen und Initiativen, möchten Teil einer Gesellschaft sein, die geflüchtete Menschen menschenwürdig aufnimmt. Wer Schutz bei uns in Deutschland sucht, soll ihn auch hier bekommen. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht.
Bitte erteilen Sie Plänen zur Auslagerung von Asylverfahren eine klare Absage.
Als im Flüchtlingsschutz aktive Organisationen und Initiativen wissen wir: Aufnahme und Teilhabe funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen und der politische Wille vorhanden ist. Vor den derzeitigen Herausforderungen verschließen wir dabei nicht die Augen. Wir begegnen ihnen vielmehr mit konstruktiven, praxisnahen und somit tatsächlich realistischen Vorschlägen für eine zukunftsfähige Aufnahme. Dafür setzen wir uns jetzt und auch zukünftig mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften ein – gerade auch auf kommunaler Ebene.
Pläne, Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen, funktionieren hingegen in der Praxis nicht, sind extrem teuer und stellen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar. Sie würden absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, wie pauschale Inhaftierung oder dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung drohen. Bei Geflüchteten lösen solche Vorhaben oft große Angst aus und erhöhen die Gefahr von Selbstverletzungen und Suiziden. Dies gilt gerade für besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie Menschen mit Behinderung, Kinder, queere Menschen, Überlebende von Folter oder sexualisierter Gewalt. Das zeigen uns die Erfahrungen der letzten Jahre, etwa das Elend auf den griechischen Inseln als Folge der EU-Türkei-Erklärung.
Aktuell leben drei Viertel der geflüchteten Menschen weltweit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Setzen Sie sich deswegen für eine glaubhafte, nachhaltige und gerechte globale Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz ein.
Wir sind uns sicher: Realistische und menschenrechtsbasierte Politik stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dass Anfang des Jahres so viele Menschen wie noch nie in Deutschland auf die Straße gegangen sind, um ein Zeichen für eine offene und diverse Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus zu setzen, macht uns Mut. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein konsequentes Einstehen für Menschenrechte – für alle.
Der Offene Brief mit allen Unterzeichner*innen ist online: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Offener-Brief_Menschen-schuetzen-statt-Asylverfahren-auslagern_19.06.2024_final.pdf