Nächtliche Abschiebungen sollten laut Gesetzesgeber die Ausnahme sein, kommen aber traurigerweise häufig vor. Die (Re-)Traumatisierung ist dabei besonders hoch und betrifft nicht nur die Abgeschoben selbst, sondern auch anwesende Familienmitglieder und besonders Kinder. Die Mutter der beiden erlitt nach der Abschiebung einen Zusammenbruch und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Die Geschwister sind nun in Griechenland, ohne persönliche Gegenstände oder Gepäck, denn Zeit zum Packen wurde ihnen nicht gewährt. Basierend auf zwei Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2025[1] sollen eigentlich nur nichtvulnerable anerkannte schutzberechtigte Männer nach Griechenland abgeschoben werden. Das Gericht argumentiert hier, dass dieser Gruppe keine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation in Griechenland droht. Abgesehen davon, dass diese Argumentation im Hinblick auf einem drohenden Leben in Obdachlosigkeit, fast ohne staatliche Unterstützungsleistungen, und mit einer Lebensunterhaltssicherung, die nur in der Schattenwirtschaft möglich sei, krude genug ist, bezieht sich das Urteil spezifisch auf nichtvulnerable Männer. Da beide Abgeschobenen schon wegen Depressionen in Behandlung waren, Rouaa eine Frau ist und Ibrahim als akut suizidgefährdet galt, trifft dies offensichtlich nicht auf die beiden zu.
Sozialleistungen für Geflüchtete in Griechenland wurden außerdem jüngst gekürzt, für das griechische Unterbringungsprogramm für Geflüchtete Helios, das unter anderem Mietzuschüsse beinhaltet, stehen nun nur noch 288 Millionen statt 400 Millionen zur Verfügung. Zu erwarten ist eine weitere Prekarisierung und Kriminalisierung von Geflüchteten in Griechenland sowie grassierende Obdachlosigkeit. [2]
Hinzu kommt: zu dieser Abschiebung hätte es auch aus anderen Gründen gar nicht kommen dürfen: Beide Geschwister hatten einen Ausbildungsvertrag unterschrieben und eine Ausbildungsduldung beantragt. Doch war diese von der Ausländerbehörde Segeberg abgelehnt wurde. Der Fall war bereits Mitte September durch die Medien gegangen.[3]
Anne-Katrin Lother vom Beratungsnetzwerk - Alle an Bord Perspektive Arbeitsmarkt fordert: "Ausbildung vor Abschiebung! Es kommt viel zu häufig vor, dass Geflüchtete abgeschoben wurden oder von Abschiebung bedroht sind, obwohl sie in Ausbildung sind. Menschen in Ausbildung oder mit Ausbildungsplatzzusage müssen endlich sicher vor Abschiebungen geschützt werden! "
Der Flüchtlingsrat begrüßt, dass der Landtag sich mit der Problematik befasst hat und entsprechende Anträge in Kürze im Innen- und Rechtsausschuss behandelt werden. Dies muss nun so schnell wie möglich passieren, um solche Fälle in Zukunft zu verhindern. Ausbildung muss dabei vor Abschiebung Priorität haben. Selbst wenn bereits sogenannte Maßnahmen zur Abschiebung eingeleitet wurde, braucht es Ausnahmen für Menschen in Arbeit, Ausbildung oder mit Ausbildungsplatzzusage. Umgekehrt zur jetzigen Praxis sollten keine abschiebenden Maßnahmen ergriffen werden, wenn eine Ausbildung in Aussicht steht und ein entsprechender Antrag vorliegt.
Leonie Melk, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats betont: „Die Abschiebungen von Personen in Ausbildung, anstehender Ausbildung, sowie in Arbeit, zeigen, dass es der aktuellen Migrationspolitik schlicht um die Erhöhung der Abschiebezahlen geht und weder die Schutzbedarfe der Betroffenen noch ihre Potentiale für den Arbeitsmarkt ernst genommen werden.“
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein richtet sich gegen jedwede Abschiebung von Schutzsuchenden zur vermeintlichen Veränderung des Stadtbilds, unabhängig von deren arbeitsmarktlichen Perspektive und fordert ein Ende der unsäglichen Abschiebeoffensive der Bundesregierung.
[1]https://www.bverwg.de/de/pm/2025/30
[2] https://www.swissinfo.ch/ger/griechenland-k%C3%BCrzt-sozialleistungen-f%C3%BCr-asylberechtigte-massiv/90125448.
[3]https://www.kn-online.de/lokales/segeberg/baeckereinhaber-will-syrische-geschwister-aus-suelfeld-ausbilden-darf-aber-nicht-NYGMBCIUI5HETAHALQB7WL4YNE.html
