Dieser Eindruck drängt sich angesichts der am 8. März veröffentlichten Ergebnisse der Sondierungen von CDU, CSU und SPD auf.
Die Rechtsextremen in Parlament und Gesellschaft haben es geschafft, Flucht und Asyl unter dem Rubrum "irreguläre Migration" als Problem zu diktieren. Kein Wort mehr findet sich in dem von den voraussichtlichen Koalitionsparteien veröffentlichten Sondierungspapier zur Frage der Schutzgewährung politisch Verfolgter und Vertriebener und zur Verteidigung des Asylrechts oder überhaupt zur Bindung an Grund- und Menschenrechte, im Gegenteil: An den Grenzen sollen Zurückweisungen "in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn ... auch bei Asylgesuchen" erfolgen. Die Parteien sind sich einig: Die "irreguläre Migration" - und darunter wird wie selbstverständlich auch die Gruppe der einreisewilligen Schutzsuchenden, die aber regelmäßig keine Visa erhalten, gezählt - soll bekämpft werden. Das ist nicht nur inhuman, sondern auch völker- und europarechtswidrig, auch wenn die Parteien betonen, sie wollten nur "rechtsstaatliche Maßnahmen" ergreifen.
Für diejenigen, denen dennoch die Asylantragstellung gelingt, droht jetzt soetwas wie eine Beweislastumkehr: Sehr unscheinbar, aber möglicherweise mit der heftigste Angriff auf das Asylrecht ist, dass "Aus dem 'Amtsermittlungsgrundsatz' muss im Asylrecht der 'Beibringungsgrundsatz' werden." Das kann eigentlich nur bedeuten, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gar nicht mehr zuständig sein soll für die Klärung und Ermittlung der Verfolgungslagen und Rückkehrgefährdungen in Herkunfts- oder Drittstaaten und die Betroffenen ihre Fluchtgründe nicht mehr nur glaubhaft machen, sondern - der Grundrechtsidee des Artikel 16 vollständig zuwider laufend - buchstäblich beweisen müssen.
Damit nicht genug: SPD und Union wollen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten "befristet" aussetzen. Das ist für die Betroffenen furchtbar und menschenrechtlich inakzeptabel, weil ein Zusammenleben der Familie aufgrund der drohenden Gefahren im Herkunftsland oder in einem Drittland in aller Regel nicht möglich ist. Die Union, die nicht müde wird, bei jeder Gelegenheit den besonderen Wert und den Schutz der Familie zu betonen, sorgt damit dafür, dass ein Familienleben über unabsehbar lange Zeiträume für geflüchtete Schutzberechtigte verhindert wird. Die Folge sind zerstörte Familien und Kinder, die ohne Vater oder Mutter aufwachsen müssen. Was passiert wohl in den Köpfen und Herzen dieser Menschen? Blamabel ist dieses Ergebnis auch für die SPD, die auf ihrem Parteitag im Dezember 2023 noch einen Antrag angenommen hat, der eine Erleichterung des Familiennachzugs fordert. Jetzt beschließt sie gemeinsam mit der Union das Gegenteil.
CDU/CSU und SPD wollen - so verkündet es das am Internationalen Frauentag veröffentlichte Sondierungspapier - auch das Aufnahmeprogramm Afghanistan beenden - und damit diejenigen im Stich lassen, die nach dem überstürzten Abzug westlicher Truppen nach wie vor an Leib und Leben bedroht sind. Tausende Menschenrechtler*innen und sog. Ortskräfte, die wegen der äußerst schleppenden Umsetzung des Aufnahmeprogramms seitens der noch amtierenden Bundesregierung seit einem Jahr und länger mit einer Aufnahmezusage unter beständiger Gefahr einer Abschiebung nach Afghanistan in Pakistan ausharren und auf ihre Rettung warten, sind verraten und verkauft. Dass alle Frauenen aus Afghanistan schon allein dadurch an Leib, Leben und Freiheit gefährdet sind, weil sie Frauen sind, hält zwar der Europäische Gerichtshof für asylentscheidend, die große Koalition offenbar nicht.
Erbärmlich sind auch die weiteren Restriktionen, auf die sich CDU/CSU und SPD geeinigt haben:
Das Recht auf eine anwaltliche Unterstützung in Abschiebungshaft wollen die Koalitionspartner in spe abschaffen, obwohl sich seit Jahren bei juristischen Überprüfungen regelmäßig rund 50% der untersuchten Haftbeschlüsse als rechtswidrig erweisen. Stattdessen sollen die Haftgründe nochmals ausgeweitet werden.
Selbstverständlich darf auch die Ausrufung einer neuen "Rückführungsoffensive" nicht fehlen. Ein Versprechen, das in Kombination mit den ebenfalls beschlossenen mehr Rechten der Bundespolizei bei der Aufenthaltsbeendigung mit den angekündigten Sondervermögen jetzt wohl finanzierbar wird und tatsächlich wahr werden könnte - wenn es denn die vielen tausend Menschen gibt, die sich auf die hier notwendigerweise zu schaffenden Stellen bewerben, um Rausschmeißer bei der Bundespolizei zu werden.
Die sog. "Bezahlkarte" soll nicht nur deutschlandweit durchgesetzt, sondern auch der solidarische Umtausch "unterbunden" werden - ein Hinweis auf die beabsichtigte Kriminalisierung von Umtausch-Initiativen?
Die Verfassungsfeinde müssen gar nicht mitregieren: CDU/CSU und SPD geben sich augenscheinlich alle Mühe, die von den völkischen Nationalisten geforderte "Migrationswende" sprachlich und politisch zu gewährleisten. Angesichts einer solchen geschichtsvergesenen und sich den Fakten weltweit herrschender Überlebensrisiken von Schutzsuchenden verweigernden politischen Klasse werden die Opfer des Nationalsozialismus und die Mütter und Väter des Grundgesetzes in ihren Gräbern rotieren.
Und so wird es in der anstehenden 21. Legislaturperiode einmal mehr auf die solidarische Zivilgesellschaft und auf Justizia dabei ankommen, zu gewährleisten, dass hierzulande die Menschenrechte für Asyl- und Schutzsuchende nicht vollständig unter die Räder kommen - und nicht zuletzt den tatsächlichen einwanderungspolitischen Bedarfslagen der Republik Geltung zu verschaffen.
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
