Grundsätzliches
Der Flüchtlingsrat hegt grundsätzliche Vorbehalte gegen eine Ab- bzw. Rückschiebung von im Asylverfahren Gescheiterten oder dem Dublin-Verfahren Unterliegenden. Dies gilt nicht allein für vulnerable Flüchtlinge. Regelmäßige Defizite bei der Anerkennung von tatsächlichen Fluchtgründen im Asylverfahren sowie bei der Beachtung der in den jeweiligen Zielstaaten bestehenden mannigfaltigen Rückkehrgefährdungen und die sich daraus ergebende Abwegigkeit der Abschiebung von ausreisepflichtigen Flüchtlingen werden bespielhaft bei den aktuell vom Bund als priorisierte Externalisierungszielgruppe identifizierten Afghan*innen offenbar1.
Gleichfalls lehnt der Flüchtlingsrat die Schaffung eines Ausreisezentrums, wie es nach Plänen des MIB SH ab 2017 auf Grundlage zentralisierter Wohnverpflichtung betroffener Männer, Frauen und Kinder auf dem Gelände der EAE Boostedt etabliert werden soll, ab. Auch dazu hat der Flüchtlingsrat der Landesregierung seine Kritik vorgetragen und öffentlich Stellung bezogen2.
Ebenso halten wir die regelmäßige Abschiebung von vermeintlichen Straftäter*innen für nicht zielführend – und stimmen hier mit der Äußerung Ministerpräsident Torsten Albigs am 22.12.2016 gegenüber der dpa3 überein, dass solche ggf. in den Strafvollzug aber nicht in Abschiebungscharter gehören.
Und schließlich hält der Flüchtlingsrat in Übereinstimmung mit dem sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsstand bzgl. einer auf die gesellschaftlich bestehenden und volkswirtschaftlich hergeleiteten zuwanderungspolitischen Bedarfe eine auf u.a. ethnisch selektive Integrationsförderung und insbesondere auf die Externalisierung von „hundertausenden“ (Thomas de Maizière) Flüchtlingen angelegte Flüchtlingsabwehrpolitik für einen Irrweg, für gesamtgesellschaftlich selbstschädigend und nicht einmal als Strategie zur Minimierung reschtspopulistischer Konkurrenzen an den Wahlurnen für zielführend.
Zum Erlass-Entwurf
Wir bedauern ausdrücklich, dass uns die ausgewiesenen Anlagen zum geplanten Erlass, u.a. der „Leitfaden Rückkehr: Ein Ratgeber für Migrationsberatungsstellen und Ausländerbehörden in Schleswig-Holstein“, zur Ausfertigung dieser Stellungnahme nicht vorgelegen haben.
Der Flüchtlingsrat teilt vollständig die vom Beauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, mit seiner, uns bei der Anhörung im MIB SH am 20.12.2016 zur Kenntnis gelangte Stellungnahme vom 5.12.2016 dem MIB SH vorgetragenen Bedenken und Anregungen zum geplanten Erlass und beschränkt sich daher hier weitgehend auf ergänzende Erläuterungen oder Feststellungen.
Zu 1. Förderung freiwilliger Ausreise
Ob eine Ausreise tatsächlich „freiwillig“ im untechnischen Sinne erfolgt, ist aus Sicht des Flüchtlingsrates nicht nur davon abhängig, ob hierdurch einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung vorgebeugt wird, sondern auch ob die Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung autonom erfolgt ist und nicht den mittelbaren Zwängen einer aufenthaltsrechtlichen Perspektive, die zu einem weiteren Aufenthaltsrecht führen kann.
Vor dem Hintergrund dass der BMI mit seinem Schreiben vom 1.11.2016 zur Berufsausbildung von Asylbewerbern und Geduldeten zumindest mittelbar die Ziele des schleswig-holsteinischen Flüchtlingspaktes hintertreiben und offensichtlich die ABHn zur regelmäßigen Ausübung negativen Ermessens bei der Entscheidung über Arbeitsgenehmigungen zur Aufnahme einer Berufsausbildung ermuntern will, teilen wir den Hinweis in der Stellungnahme des Landesflüchtlingsbeauftragten auf die Anspruchsduldung nach § 60a Abs. 2, S. 4 AufenthG.
Bzgl. der Priorität der Beratung Betroffener zur sogenannten „freiwilligen Ausreise“, muss der Erlass-Entwurf mit Blick auf die Rechtslage so verstanden werden, dass diese schon ab der vollziehbaren Ausreisepflicht nach der für Asylsuchende und Flüchtlinge regelmäßig festzustellenden „unerlaubten Einreise“ beginnen soll. Im Ergebnis würde dies allerdings dazu führen, dass Asylsuchende regelmäßig noch bevor sie Gelegenheit haben, eine Verfahrensberatung in Anspruch zu nehmen, einen Asylantrag zu stellen oder zu ihren Flucht- und Asylgründen angehört worden zu sein, schon die ausländeramtliche Beratung zur „freiwilligen“ Ausreise gewärtigen müssten. So von einer Landesregierung empfangen zu werden, die sich laut schleswig-holsteinischem Flüchtlingspakt4 vom 6.5.2015 grundsätzlich der integrationsorientierten Flüchtlingsaufnahme und einer Integrationsförderung von Anfang an verpflichtet sieht, ist flüchtlingspolitisch kaum nachvollziehbar und würde die Betroffenen in einem so starken Maß irritieren und verängstigen, dass hier von der Etablierung einer systematischen Hürde beim Zugang zum Grundrechtsversprechen Asyl ausgegangen werden muss.
Bis dato ist Betroffenen mit Blick auf die mögliche „freiwillige“ Ausreise avisiert worden, dass sie anschließend keiner Wiedereinreisesperre unterliegen würden. Dies ist allerdings in zahlreichen Fällen durch die Visumsverweigerungspraxis der Konsularabteilungen der deutschen Auslandsvertretungen oder durch Beschlagnahme von Pässen seitens der heimatlichen Polzeibehörden hintertrieben worden. Der Erlass-Entwurf avisiert nunmehr lediglich „dass eine freiwillige Ausreise eine kürzere Befristung des Einreise- und Aufenthaltsvebots“ auch nur „ermöglichen kann“ und bleibt damit weitgehend unverbindlich. Der Flüchtlingsrat hält eine Formulierung, die ein Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot für „freiwillig“ Ausreisende regelmäßig ausschließt für unabdingbar.
Ebenso unverbindlich bleibt der Erlass-Entwurf bei der zu gewährenden „wirkungsvollen Unterstützung“ für „freiwillig“ Ausreisende. Die ABHn/das LfA werden lediglich auf „eine Übersicht über bestehende Fördermöglichkeiten und Beratungsgrundsätze“ im o.g. Leitfaden hingewiesen. Ein verbindlicher Anspruch auf Rückkehrförderung ist im Erlass-Entwurf nicht formuliert.
Der Erlass-Entwurf gibt keinerlei Auskunft über die materielle Hinterlegung der Fördermöglichkeiten im Kontext „freiwilliger“ Ausreise. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein ist davon überzeugt, dass eine Rückkehrförderung nicht allein aus Beratung, Informationsrecherche, der Vermittlung der Reisekosten und eines Handgeldes – das regelmäßig kaum ausreichend ist, um nur den Heimatort zu erreichen – bestehen darf. Das Angebot an Rückkehrwillige muss auch eine seriöse materielle und damit nachhaltig Zukunft schaffende Ausstattung beinhalten. Nur so kann Rückkehrwilligen auch eine echte Reintegrationsperspektive im Herkunfts- oder Drittland eröffnet und echte Freiwilligkeit erreicht werden.
Nicht allein die Erfahrungen im Bundesland gelaufener Rückkehr-Beratungsprojekte, auch die uns vorliegenden Berichte zahlreicher bis dato aus Schleswig-Holstein „freiwillig“ Zurückgekehrter, bestätigen unsere grundsätzlichen Vorbehalte gegen allein fiskalische Maßnahmen zu vermeintlichen Rückkehrförderungen, solange diese sich w.o.g. auf ein „Handgeld“ reduzieren (z.B. REAG/GARP)5, wo eigentlich Existenz- und Perspektiven schaffende Unterstützung notwendig und ggf. auch einer souveränen Entscheidung zur echten freiwilligen Ausreise zuträglich wären.
Mit ERIN6 wäre inzwischen mit europäischen Mitteln eine Basis geschaffen, die mit zusätzlichen Bundes-/Landesmitteln allerdings bis zu einer tatsächlich perpektivenschaffenden Qualität auszubauen wäre.
Zu 2.1.Hinweise für den Grundverwaltungsakt
Der Flüchtlingsrat begrüßt ausdrücklich, dass mit Blick auf Vorladung und Zwangsmittel auf die Pflicht zur schriftlichen Androhung, auf angemessenen Erfüllungsfristen und vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs zunächst die Prüfung und Anwendung milderer Mittel, bzw. die ausführliche Begründung der Alternativlosigkeit des Rückgriffs auf unmittelbaren Zwang vorschreibt.
Zu aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten, insbesondere zur Frage, wann diese als erfüllt zu gelten haben, haben der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und seine Kooperationspartner in den vergangenen Jahren schon verschiedentlich gegenüber dem Innenministerium/MIB SH insistiert. Der Flüchtlingsrat enhält sich an dieser Stelle erneut Ausführungen zum Thema zu machen und schließt sich den wie folgt zitierten Ausführungen des Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen zu "nachvollziehbaren und überprüfbaren Mitwirkungshandlungen und deren Bewertung durch die Ausländerbehörden"7 an:
Vorsprache in Botschaft:
Eine Vorsprache in einer Botschaft gilt dann als erfolgt, wenn diese durch Zeugenaussagen, beispielsweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Fachstellen belegt wird, wobei den Aussagen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Migrationssozialberatungsstellen besonderes Gewicht zugemessen wird.
Mehrmalige Vorsprache bei Botschaften:
Eine Vorsprache bei den Auslandsvertretungen der jeweiligen Herkunftsländer gilt als mehrfach, wenn die Vorsprache zumindest zweimal geschehen ist in einem Zeitraum von mindestens 6 Monaten.
Rückmeldung durch Botschaften:
Erfolgt eine Rückmeldung der Botschaften der jeweiligen tatsächlichen oder unterstellten Herkunftsländer nicht innerhalb von drei Monaten, so ist davon auszugehen, dass diese Auslandsvertretung sich auf unbestimmte Zeit nicht zurückmelden wird und es ist daher die fehlende Rückmeldung den betroffenen Ausländerinnen/Ausländern nicht anzulasten.
Angeblich gefälschte Dokumente aus dem Herkunftsland:
Wird seitens der deutschen Behörden davon ausgegangen, dass die überwiegende Zahl der Dokumente aus dem jeweiligen Herkunftsland gefälscht sind oder gefälscht sein könnten, darf dies nicht zu Lasten der betroffenen Ausländerin/des betroffenen Ausländers gehen und sind dessen Angaben, soweit diese nicht widersprüchlich sind, als wahr zu unterstellen.
Fotos:
Bei den Im Zusammenhang mit dem Einreichen von Passersatzpapieren oder der Nationalpassbeschaffung erforderlichen Fotografien, dürfen keine Aufnahmen verlangt werden, die gegen das religiöse Selbstverständnis der zu Fotografierenden verstoßen, beispielsweise Zwang zum Anlegen einer Kopfbedeckung oder Zwang zum Ablegen einer Kopfbedeckung, wobei selbstverständlich bei Fotografien die Gesichtszüge erkennbar sein müssen.
Verstreichenlassen der Rückkehrberechtigung:
Ein Verstreichenlassen der Rückkehrberechtigung wird dann nicht als Verschulden durch aktives Tun gewertet, wenn die entsprechende Ausländerin/der entsprechende Ausländer zu dem entsprechenden Zeitpunkt über eine Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsgestattung oder Duldung verfügt hatte und den Grund für das Abschiebungshindernis/Vollstreckungshindernis nicht ausschließlich allein gesetzt hat.
Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit auf Antrag:
Die Staatenlosigkeit aufgrund der Entlassung aus der vormaligen Staatsangehörigkeit auf eigenen Antrag gilt dann nicht als Verschulden durch aktives Tun, wenn zum Zeitpunkt des Antrages auf Entlassung, dieser Antrag auf Gründen beruht, die in einer glaubhaft gemachte Diskriminierung und Schlechterstellung im Herkunftsland im Vergleich zu Personen anderer ethnischer Zugehörigkeit fußen.
Die Staatenlosigkeit aufgrund der Entlassung aus der vormaligen Staatsangehörigkeit auf eigenen Antrag gilt auch dann nicht als Verschulden durch aktives Tun , wenn der Antrag in der festen Überzeugung erfolgt ist, die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes zu erhalten.
Zu 2.2. Einzelheiten zur Vorspracheanordnung, § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG (Vorladung)
Zu begrüßen ist, dass der Erlass-Entwurf auf die Zurückhaltung bei der Anordung von begleitenden Transporten abstellt. Begleitende Transporte werden von den betroffenen regelmäßig als freiheitsbeschränkende Sanktion in einer Situation wahrgenommen, in der sie weder strafrechtlich angeklagt noch verurteilt worden sind. Die Betroffenen sind regelmäßig so gut im Bundesland orientiert, dass ihnen unter der Voraussetzung der öffentlichen Reisekostenfinanzierung die zur Rede stehenden Wege zugetraut werden können.
Bezüglich des geplanten Betriebs eines Ausreisezentrums in Schleswig-Holstein hat der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein dem MIB SH gegenüber schon am 29.9.20168 ausführlich kritisch Stellung genommen. Insbesondere die Erteilung einer Wohnsitzauflage in landeszentraler Einrichtung in Boostedt o.a.O., die im Erlass-Entwurf im Zuge aufenthaltsbeendender Maßnahmen angeregt wird, lehnen wir entschieden ab: weil sie mit Blick auf die ausreichenden dezentralen Möglichkeiten der ABHn unnötig ist, weil sie die betroffenen Männer, Frauen und Kinder unverhältnismäßig unter Druck setzt, ohne dass die Behörde von einer zweifelsfrei erfolgreichen Vollzug der Aufentghaltsbeendigung ausgehen kann und mit dieser Maßnahme zentraler Kasernierung ihre vor Ort aufgenommenen Bildungs- und Integrationsleistungsketten beschädigt werden.
Zu begrüßen ist u.E. die Auflage, dass der Sofortvollzug einer Vorspracheanordnung mit den konkreten Umständen des Einzelfalls begründet werden muss, weil der Ausnahmecharakter der Anordnung des Sofortvollzugs beachtlich sei. Wenn allerdings an dieser Stelle im Erlass-Entwurf auf die Möglichkeit, die Anordnung des Sofortvollzugs mit der „Notwendigkeit des Leistungsbeszuges zeitlich so eng wie möglich zu gestalten“, verwiesen wird, ist – eingedenk der Tatsache, dass Ausreisepflichtige regelmäßig nicht zuletzt durch administrative Entscheidungen erst in den Leistungsbezug der öffentlichen Hand gezwungen sind – einer Verwaltungspraxis Tür und Tor geöffnet, die den Ausnahmecharakter regelmäßig unbeachtlich stellt.
Zu 3. Zwangsweise Rückführung/Abschiebung
Der Hinweis im Erlass-Entwurf, dass die zuständigen Behörden verpflichtet sind, ihre Maßnahmen insbesondere mit Blick auf vulnerable Gruppen so zu halten, "dass die Belastungen für die abzuschiebenden Personen so gering wie möglich sind". Dass allerdings hier kein Kriterienkatalog mitgeliefert wird, der die Zuständigen unmissverständlich darüber instruiert, was unter "geringst möglichen Belastungen" zu verstehen ist, lässt hier eine Unwirksamkeit des Appells im konkreten Verwaltungsvollzug befürchten.
Die Ausführungen unter 3.1. bis 3.3. sind zumindest wegen ihrer Klarheit zu begrüßen.
zu 3.4. Abschiebungen zur Nachtzeit
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein lehnt Abschiebungen zur Nachtzeit - zumal seit sie regelmäßig unangekündigt zu von den Verwaltungen geheim gehaltenen Terminen stattfinden sollen - kategorisch ab. Dass der Erlass-Entwurf Abschiebungen zur Nachtzeit lediglich zur Ausnahme erklärt, ist nach aller Erfahrung kaum zielführend.
Gerade vor dem Hintergrund der künftig geltenden Nichtankündigung des Vollzugs und zumal zur Nacht muss den Betroffenen regelmäßig die Möglichkeit der Beiziehung einer Person ihres Vertrauens eingeräumt und die Kontaktaufnahme ermöglicht werden. Einwände der Polizei, damit würden Risiken der Eigen- und Fremdgefährdung geschaffen, sind abwegig und mit Blick auf die tatsächlich mögliche Konfliktprävention in der akuten Situation unverhältnismäßig. Den taktischen Erwägungen der Polizei dürfen zu keiner Zeit gegenüber den o.g. "geringst möglichen Belastungen" der Vorzug gegeben werden.
Dies gilt auch mit Blick auf - zuletzt bei der Anhörung im MIB SH am 20.12.2016 vorgetragene - Begründungsversuche, die die nächtlichen Abschiebungen mit lediglich vormittäglichen Geschäftsbetrieben der zuständigen Behörden in Dublin- bzw. Herkunftsländern oder mit Zeitbedarfen bei Zwischenstopps von Abschiebungsflügen zu rechtfertigen suchen.
Nicht allein, aber auch im Zusammenhang mit nächtlichen Abschiebungen fordert der Flüchtlingsrat als ergänzende Maßnahme die Wiedereinrichtung einer unabhängigen und mit Landesmitteln finanzierten Abschiebungsbeobachtungsstelle am Flughafen Hamburg ein.
Zu 3.6. Wahrung der Familieneinheit
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein lehnt Abschiebungen von Familien und erst recht von Teilen der Familien im Zuge getrennter Maßnahmen entschieden ab. Eine Familientrennung im Zuge des Abschiebungsvollzugs ist mit Blick auf die Grundsätze von Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK immer eine "unzumutbare Beeinträchtigung" und ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis muss daher regelmäßig unterlassen werden.
Die im Erlass-Entwurf gefundene Öffnungsklausel, Familientrennungen in solchen Fällen doch zu vollstrecken, wenn die Familieneinheit unverzüglich im Zielland wiederhergestellt werden kann, geht an der Lebenswirklichkeit von "Schüblingen", wie sie sich ihnen im Zielland stellt, vorbei. Dem Flüchtlingsräten und anderen Unterstützungsorganistaionen liegen zahlreiche Berichte vor, bei denen sich Familienangehörige im Zuge des getrennten Vollzugs von Abschiebungen aus den Augen verloren haben und daraufhin in besonders präkäre Situationen geraten sind.
Zu 4. Dublin III ...
Dass der Erlass-Entwurf im Besonderen der eigenständigen Rückreise in den als zuständig erklärten Dublin-Vertragsstaat abstellt ist zu begrüßen.
Es ist bekannt, dass in der EU-Kommission aktuell eine Novelle der Dublin-Verordnung, Dublin IV, beraten wird. Nach dem Flüchtlingsrat vorliegenden Informationen soll demnach regelmäßig über ein Zulässigkeitsverfahren Dublin-Flüchtlingen aus sicheren Drittländern und zur Rücknahme bereiten Herkunfts- und Transitländern der Asylzugang unabhängig von der Verfahrenszuständigkeit und Fluchtgründen verwehrt werden; die Abschaffung des Selbsteintritts (außer bei Familien) soll obligatorisch werden; regelmäßig verpflichtend sollen auch Rücküberstellungen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vollstreckt werden; und schließlich ist die Ausweitung der Geltung der Bestimmungen von Dublin IV auch auf International Schutzberechtigte (verbunden mit dem totalen Ausschluss von sozialer Versorgung, Arbeitserlaubnis, Beschulung etc...) vorgesehen.
Sollte Dublin IV in dieser Qualität wahr werden, und es spricht einiges dafür, wird im "Integrierten Rückkehrmanagement" des Landes kaum noch Gelegenheit bestehen, ernstzunehmende Gespräche mit den auch in Schleswig-Holstein erwartbar zahlreichen Opfern der Dublin-Verordnung (PRO ASYL spricht über eine zu erwartende Welle von refugees in orbit9) über ihre „freiwillige Rückkehrbereitschaft“ zu führen, noch ein Vollzug von Ausreisepflicht innerhalb „absehbarer Fristen“ realisierbar sein.
zu 5 Abschiebungs-/Vollstreckungshindernisse
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein nimmt verhalten anerkennend zur Kenntnis, dass das Land die vom Bund unter Beteiligung der Länder durchgesetzte restrktive Gesetzes- und Verordnungslage nicht ohne eine auf die Belange des Einzelfalls abgestellte intensive Prüfung vollstrecken lassen will. Dass traumatisierte Personen allerdings quasi als regelmäßig abschiebbar klassifiziert werden, ist u.E. mit Blick auf das erlittene Martyrium und die gerechtfertigten Ängste der Betroffenen kaum nachvollziehbar.
Es wird darauf ankommen, zu beobachten, wie die kommunalen und Landesausländerbehörden der Aufgabe der Einzelfallprüfung im objektiven Interesse der Betroffenen, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Überzeugungen des schleswig-holsteinischen Flüchtlingspakts gerecht werden.
gez. Martin Link
Downloads:
Stellungnahme des Flüchtlingsrats SH vom 6.1.2017 als pdf-Datei
Stellungnahme des Landesflüchtlingsbeauftragten vom 5.12.2016
1 http://www.frsh.de/artikel/updated-abschiebungen-nach-afghanistan/
2 http://www.frsh.de/artikel/zur-geplanten-landesunterkunft-fuer-ausreisepflichtige-in-schleswig-holstein/ und http://frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_81-82/s81-82_48-50.pdf
3 http://www.kn-online.de/News/Aktuelle-Politik-Nachrichten/Nachrichten-Politik/Albig-Auslaender-und-Deutsche-gleich-hart-bestrafen
4 http://www.frsh.de/artikel/vor-uns-die-muehen-der-ebene/
5 http://www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/FreiwilligeR%C3%BCckkehr/freiwillige-rueckkehr-node.html
6 http://www.bamf.de/DE/Rueckkehr/Reintegration/ProjektERIN/projekt_erin-node.html
7 Stellungnahme des Landesbeauftragten vom 5.12.2016, S. 5-6
8 http://www.frsh.de/artikel/zur-geplanten-landesunterkunft-fuer-ausreisepflichtige-in-schleswig-holstein/
9 http://www.frsh.de/fileadmin/pdf/Aktuelles/PROASYL_Positionspapier-zur-geplanten-DublinIV-Reform_Juni-2016.pdf