CDU und CSU beschreiben im Bund in schrillen Tönen die Bundesrepublik als ein Land in existenzieller Not und Bedrängnis, obwohl die Fakten das Gegenteil belegen: Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr um rund 30% zurückgegangen. Insgesamt wurden 2024 knapp 230.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, fast 100.000 weniger als 2023. In Schleswig-Holstein sank die Zahl der Schutzbegehenden - Asylsuchende und ukrainische Kriegsflüchtlinge - von 37.434 im Jahr 2022 auf 11.104 im Jahr 2024 - also um 70%. Gemessen an der Gesamtzahl der jedes Jahr in die Bundesrepublik ein- und aus ihr auswandernden Menschen machen Asylsuchende seit vielen Jahren nur eine Minderheit von unter 20% aus (siehe Deutschland im Notstand?[https://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_109/s109_6-9.pdf]). Viele Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder stehen derzeit leer – in Schleswig-Holstein waren Anfang Januar 2025 von rund 8.500 Plätzen in den Landesunterkünften nur 4.267 belegt. Die Schließung von überzähligen Erstaufnahmeeinrichtungen ist in Planung.
Doch ungeachtet dessen diskutiert heute der Bundestag allerlei asylfeindliche Anträge der CDU/CSU und gibt der AfD, allen Behauptungen einer Brandmauer gegen die Kooperation mit Rechtsextremisten zum Trotz, die Möglichkeit bei dieser Kampagne gegen Verfolgte und Schutzsuchende mitzuhelfen.
Im Interview mit Bildungsministerin Karin Prien am 29. Januar im DLF wird deutlich, wie gut es Friedrich Merz gelingt, auch die vermeintlich liberalen Flügel der CDU für eine solche im Ergebnis flüchtlingsfeindliche sowie grund- und europarechtswidrige Politik einzunehmen.
Ebenso am 29. Januar war eine aktuelle Stunde im Kieler Landtag der Frage auf den Grund gegangen, wie sich die schwarz-grüne Landesregierung gegenüber den Plänen der Bundes-Union und ihrer Kollaborateure im Bundestag positioniert. Dabei erklärte Ministerpräsident Daniel Günther: "Wir müssen bereit sein, über unseren Schatten zu springen, um Dinge zu ändern." Dabei gelte es aber, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht in Frage käme. Gleichzeitig gelte es dem auf Bundesebene vorhandenen Reformbedarf gerecht zu werden, damit die Menschen nicht radikalere Parteien wählten. Gerade im Staatsdienst müssten Einzelentscheidungen genauer dahingehend geprüft werden, ob sie dem Rechtsstaatsverständnis in der Bevölkerung entsprächen. Dem diene laut Günther explizit die - vom Flüchtlingsrat scharf kritisierte - gemeinsame Bundesratsinitiative von Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württhember.
Was allerdings eine solche Politik, die allenfalls den auch heute im Landtag allseitig beschworenen Konsens der Demokraten dabei sucht, Einwanderung als Sicherheitsrisiko denn als gesellschaftliche Chance zu begreifen, an Verstörungen in den migrantischen Communities verursacht, war leider in keinem Beitrag der Fraktionen oder des MP in der heutigen Aktuellen Stunde im schleswig-holsteinischen Landtag der Rede wert.
Der Stimmungswechsel aber, der mit einer solchen von den Betroffenen als ausgrenzend wahrgenommenen Politik in der fragilen Einwanderungsgesellschaft einher geht, ist immer mehr spürbar: So warnt nicht nur DIW Präsident Marcel Fratzscher schon am 4.10.24 in Zeit-online: „Die sogenannte ‚Remigration‘ ist längst Realität." Immer mehr Menschen haben einer Studie des Forschungsinstituts DeZIM vom September 2024 zufolge konkrete Pläne, Deutschland zu verlassen. Dies treffe beispielsweise auf knapp 19 Prozent aller Menschen aus Nordafrika und 1,9 Prozent aller Deutschen zu, die ins Ausland abwandern wollen, insbesondere als Reaktion auf Fremdenfeindlichkeit und eine fehlende Toleranz und Wertschätzung. Alle demokratischen Parteien, die Bundesregierung und auch die Union, trügen hierfür die Hauptverantwortung, denn „anstelle sich gegen den Populismus und gegen die Ausgrenzung von verletzlichen Gruppen zu stemmen und diese zu schützen – von Geflüchteten, über Minderheiten bis hin zu Bürgergeldbeziehenden –, instrumentalisieren sie diese für politische Zwecke. Damit dürfte sich die von der AfD geforderte ‚Remigration‘ weiter verstärken“, ist Fratzscher überzeugt.
Nicht nur die Schutzsuchenden und mit ihnen solidarische Gruppen geraten mit der Öffnung der vermeintlichen Mitte nach extrem rechts ins Fadenkreuz. Genderpolitiken, Rassismuskritik und Grundrechte werden zunehmend in Frage gestellt und ausgehöhlt. Gleichzeitig beschleunigt sich die Klimakatastrophe. Statt konsequent zu handeln, werden gesellschaftliche Konflikte von rechts bewusst forciert. Steht jetzt, wie in Ungarn, den USA, Indien oder Italien, auch uns in Deutschland bevor, dass autoritäre Kipppunkte überschritten werden?
Dieser Konfliktlinie widmet sich am 29.1.2025 Prof. Maximilian Pichl in seinem Online-Vortrag, zu dem der Flüchtlingsrat und seine Kooperationspartner*innen hiermit auch Kurzentschlossene herzlich einladen.
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