Das von Migrations- und Integrationsexperten, Verbänden, der Wirtschaft sowie MigrantInnen- und Menschenrechtsorganisationen als untauglich abgelehnte Gesetz ist allerdings in großer Bund-Länder-Einigkeit beschlossen worden. Das <link http: www.bundesrat.de shareddocs drucksachen external-link-new-window external link in new>Gesetz setzt auf einen Potpourri aus Asylbeschleunigung, sozialem Aushungern, Abschiebung und selektiver Integration für Wenige.
- So wird die maximale Unterbringungsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen – einhergehend mit einem Arbeitsverbot – von drei auf sechs Monate verlängert.
- Flüchtlinge vom Balkan – unter ihnen mehrheitlich von regelmäßiger ordnungsbehördlicher Gewalt und schwerer Diskriminierung betroffene Angehörige ethnischer Minderheiten – und aus anderen als "sicher" dekretierten Herkunftsländern sollen die Erstaufnahmeeinrichtungen, die ihnen damit zu Ausreisezentren werden, gar nicht mehr verlassen dürfen.
- Abschiebungen sollen zukünftig grundsätzlich für die Betroffenen überraschend vollstreckt werden - Abschiebungstermine sollen den Flüchtlingen nicht mehr mitgeteilt werden.
- Flüchtlinge, die in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften untergebracht sind, können wieder mit Sachleistungen abgespeist werden. Anders als bisher dürfen die Behörden den Asylsuchenden dabei auch jegliches Bargeld (das "Taschengeld") für ihren persönlichen und soziokulturellen Bedarf (Telefon, Fahrgeld, Anwalt usw.) vollständig und dauerhaft entziehen. Verpflichtend ist dies für die Mehrheit der Flüchtlinge mit Duldung, aber auch für solche, die bereits in anderen EU-Staaten anerkannt worden sind. Dieser Eingriff in die Sozialleistungen ist verfassungswidrig: Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 klargestellt, dass das die Menschenwürde unteilbar ist: das soziokulturelle, menschenwürdige Existenzminimum gilt für alle und muss daher bar ausbezahlt werden.
- Zugang zu Sprachkursen und arbeitsmarktlicher Integrationsförderung für alle Flüchtlinge ist nach dem Gesetz ausgeschlossen. Nur eine kleine Auswahl von Asylsuchenden - bis dato werden die Staaten Syrien, Eritrea, Iran und Irak benannt - sollen sprachliche und andere Integrationsförderangebote erhalten, weil ihnen pauschal eine „gute Bleibeperspektive“ zugeschrieben wird.
Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz trägt nicht zur Lösung der aktuellen Probleme bzgl. Flüchtlingszuwanderung, Aufnahme, Verfahrensablauf oder fehlendem burdon sharing bei. Stattdessen setzt es einseitig auf Abschreckung, betreibt mittelbar die Förderung von Flüchtlingsfeindlichkeit, zielt auf gruppenspezifische Asylverweigerung und verstößt sowohl mit Blick auf das geplante Aushungern der Betroffenen wie auch auf die pauschale herkunftsbezogene Sicherheitsbehauptung gegen das Grundgesetz.
Darüber hinaus konterkariert das Gesetz die seit Jahren bundesweit erfolgreich und auch in Schleswig-Holstein im Zuge heterogener Bleiberechts- und Integrationsnetzwerke etablierte Förderstruktur.
Auch ist zu befürchten, dass den Migrationssozialberatungsstellen hierzulande und anderen Migrationsfachdiensten sowie den Sprachkursträgern im Zuge dieses Gesetzes die Selektion und Abweisung der künftig wohl nicht mehr Förderungswürdigen mit unterstellter „schlechter Bleibeperspektive“ zugeschoben und anverantwortet wird.
Alles in allem bedeuten bisher bekannt gewordene Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels in Tateinheit mit dem am Freitag im Bundesrat beschlossenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz den flüchtlingspolitischen roll back in überwunden gehoffte Zeiten, in denen sich Flüchtlingspolitik und -verwaltung vor allem in Abschreckung, Ausgrenzung und Abschiebung genügt hat. Neu - doch nicht minder problematisch - ist das Moment selektiver Chancenvergabe auf Grundlage unterstellter "guter Bleibeperspektive" für Wenige.
Mit Besorgnis beobachtet der Flüchtlingsrat darüber hinaus, wie mittels pauschaler Hetze gegen Flüchtlinge – von einigen Bundesministern, Landeschefs, Abgeordneten und Medien schon fast kampagnenhaft und quasi als populistische Begleitmusik zur flüchtlingspolitischen Faktensetzung betrieben – die Verunglimpfung von Motivation und Glaubwürdigkeit der hierzulande Asyl und Schutz suchenden Menschen inszeniert wird. Vor diesem Hintergrund überraschen der jüngste Brandanschlag auf ein für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenes Gebäude in Flensburg und bundesweit seit Jahresbeginn über 500 flüchtlingsfeindliche Gewalttaten kaum.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. ist enttäuscht, dass die Kieler Landesregierung nicht dem guten Beispiel Niedersachsens gefolgt ist, das sich bei der Abstimmung über das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz im Bundesrat enthalten hat.
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Eine lesenswerte und ausführliche Herleitung zu dem, was mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz droht, ist die Stellungnahme der GGUA Münster vom 12.10.2015: <link https: www.bundestag.de blob>
www.bundestag.de/blob/390874/56f44cffef19e15b2bf83f9689b724a9/18-4-404-a-data.pdf