In der Türkei kamen allein seit März 2006 innerhalb von nur 3 Wochen durch Gewalt von Polizisten und Sicherheitskräften gegen kurdische Demonstranten ca. 20 Personen zu Tode. Bewaffnete kurdische Widerstandsgruppen haben den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen. Binnenflüchtlinge werden in sogenannten Wehrdörfern interniert. Wer sich nicht umsiedeln bzw. vertreiben lässt, riskiert brutal ermordet zu werden. - Die Angst geht um unter den hierzulande von Abschiebung bedrohten kurdischen Flüchtlingen. Anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz im Kieler Landeshaus zogen VertreterInnen des Flüchtlingsrats, kirchlicher und anderer Organisationen eine Zwischenbilanz zur aktuellen Lage in der Türkei: Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der nordelbischen Kirche, fasste die prekäre Situation binnenvertriebener oder der in die Türkei abgeschobenen Flüchtlinge wie folgt zusammen: Entschädigungsmaßnahmen für Zerstörungen ganzer Dörfer wurden nie umgesetzt, Gesundheitsversorgung fehlt in den meisten kurdischen Gebieten, wenige sind krankenversichert, Schulen schließen weiterhin kurdische Kinder aus, Abgeschobene oder Zurückgekehrte leben unter erbärmlichen Bedingungen. Migrationssozialberaterin Leman Rüschemeier aus Bargteheide berichtete über den Fall der kurdischen Familie Özdemir, die aus Norderstedt im Mai-Juni vergangenen Jahres abgeschoben worden war und bis heute weder ein eigenes Dach über dem Kopf, Zugang zu medizinischer Versorgung noch ein gesichertes Einkommen hat. Stattdessen werden die schwer traumatisierten Eltern weiterhin von Nachstellungen der Polizei behelligt. Ein Verwandter berichtete von der brutalen Ermordung des über 80jährigen Ehepaares Ferho und Fatima Akgüll. Anfang März wurden die alten Leute von staatlich gedungenen Mördern nach schwerer nächtlicher Folter in ihrem Haus im Dorf Mizizex nahe der kurdischen Stadt Midyat ermordet. Astrid Willer, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates und vor wenigen Tagen von einer Delegationsreise in die kurdischen Gebiete der Türkei zurückgekehrt, berichtete über dort geführte Gespräche: Türkische und kurdische Hilfsorganisationen fordern vergeblich Reintegrationsmaßnahmen für kurdische Flüchtlinge und beklagen eine exorbitant hohe Selbstmordrate insbesondere unter kurdischen Frauen. In den kurdischen Städten herrscht eine Arbeitslosigkeit von 70%. Aus Europa zurückkehrende Flüchtlinge fallen in der Türkei ins Nichts. Leyla Akkus, und Hassan Kavak von der Deutsch Kurdischen Gesellschaft Kiel forderten von der bundesdeutschen Politik und der EU, den diplomatischen Druck zu erhöhen und sich für ein Ende der gegen die kurdische Zivilgesellschaft gerichtete Gewalt türkischer Sicherheitskräfte einzusetzen. Angesichts der bekannten Fakten fordert der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein die Landesregierung auf, sich beim Bund für einen umgehenden Türkei-Abschiebestopp stark zu machen. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU) hatte noch am 12. April die Menschenrechtslage in der Türkei kritisiert. Er hält das Land für ‚nicht EU-reif’. “Völlig unverständlich ist allerdings, dass sich Herr Nooke dabei nicht um die hierzulande von Abschiebung bedrohten kurdischen Flüchtlinge sorgt.” bedauert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat. “Wenn der Menschenrechtsbeauftragte des Bundes über ‚mangelnden Respekt für die Menschenrechte’ der Türkei lamentiere, ohne dabei die Gefährdungen zu würdigen, die für Kurden mit der Abschiebung einher gehen, macht er sich unglaubwürdig.” kritisiert Link weiter.
gez. Martin Link
Flüchtlingsat Schleswig-Holstein e.V.
T. 0431-735000
Anlage: <link presse pe_13_04_06_pressemappe.pdf _blank>“Rückkehr in den Krieg? - kurdische Flüchtlinge in Schleswig-Holstein”, Pressemappe des Flüchtlingsrates SH vom 13.4.2006