Polizeilicher Großeinsatz zur Abschiebung einer schwer kranken kurdischen Familie in Bad Schwartau gescheitert
Am späten Abend des 8. März versuchte die Eutiner Ausländerbehörde die fünfköpfige kurdische Familie D. direkt aus ihrer Wohnung in Bad Schwartau in die Türkei abzuschieben. Der Versuch scheiterte lediglich an der Intervention der anwesenden Amtsärztin. Die dreifache Mutter war kollabiert und wurde bis Montag, den 13. März, ins Krankenhaus eingewiesen.
Die schwere Traumatisierung der Frau, ihres Ehemanns und einer der Töchter war seit langem amtsbekannt. Diverse entsprechende fachärztliche Begutachtungen liegen der Ausländerbehörde vor. Schon mehrfach sind die - von Polizeigewalt in der Türkei - schwer traumatisierten Menschen psychisch und physisch unter dem Eindruck von ausländeramtlichem Verwaltungshandeln zusammengebrochen.
Der dem Flüchtlingsrat vorliegende Beschluss des Amtsgerichtes Bad Schwartau vom 23.2.06, der der amtlichen Durchsuchung der Wohnung mit dem Zweck der Festsetzung der Familie vorausgegangen ist, nimmt keinerlei Bezug auf die dokumentierten Krankheitstatbestände. Hier besteht der Verdacht, dass die für eine sachgerechte richterliche Entscheidung wichtige Information über den Krankheitsstand durch die Ausländerbehörde dem Gericht vorenthalten worden ist.
Am Folgetag des Abschiebungsversuches herrschte beim Leiter der Ausländerabteilung des Innenministeriums keine Kenntnis über den Vorfall. Die geltende Erlasskage des Landes schreibt allerdings eindeutig im Fällen von beabsichtigten Abschiebungen von traumatisierten Flüchtlingen die Vorabinformation der Fachaufsicht im Kieler Innenministerium vor. Offenbar ist das hier nicht geschehen.
“Das neue Aufenthaltsgesetz räumt in besonderen humanitären Härtefällen die Möglichekeit einer positiven Verwaltungsentscheidung ein. Ist das in Eutin völlig unbekannt?” fragt Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. “Einmal mehr rückt die Ausländerbehörde hier einer schwer gewalttraumatisierten Flüchtlingsfamilie mit einem polizeilichen Kommando zuleibe”
“Die Fachaufsicht im Kieler Innenministerium muss hier gegen eine außer Rand und Band geratene Ausländebehörde intervenieren” fordert Heike Behrens vom Lüebecker Flüchtlingsforum und erklärt mit Blick auf jüngste Aussagen Innenminister Ralf Stegners: “Eine tatsächlich humanitäre Flüchtlings- und Migrationspolitik muss auch im Verwaltungshandeln der Ausländebehörden erkennbar sein.”
gez. Heike Behrens
Lübecker Flüchtlingsforum e.V., Lübeck
Tel.: 0171-2001756
gez. Martin Link
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Tel.: 0431-735 000
Bericht zum Vorfall und Hintergrundinformationen:
Am späten Abend des 8. März sollte die Familie ohne jemanden informieren zu dürfen, ihre Sachen packen. Eine Ärztin begleitete die Mitarbeiter der Ausländerbehörde und die Polizei. Frau D. erlitt einen Zusammenbruch und wurde auf Anweisung der Ärztin notfallmäßig in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Abschiebung wurde daraufhin abgebrochen.
Gegenüber den Mitarbeiterinnen der beratungsstelle des Lübecker Flüchtlingsforums schilderte die älteste Tochter (15) die Situation so: ”Als mein Vater vor Panik außer Kontrolle war, haben sich Herr Fehring und die Polizisten über ihn lustig gemacht. In der Wohnung waren 8 Polizisten, im Treppenhaus und auf der Straße war ein großes Polizistenaufgebot. Wir waren alle unter Schock”. Sie erzählt weiter: “Mein Bruder ist 7 Jahre alt und seitdem macht er jede Nacht ins Bett und schreit, weint und wimmert. Meine Mutter ist momentan im Krankenhaus. Ich habe Angst und bin verzweifelt.”
Der behandelnde Neurologe der Familie, Wolfgang Frank aus Bad Schwartau, ist entsetzt über das Vorgehen der Ausländerbehörde gegen seine nachgewiesen psychisch kranken Patienten.
Familie D. lebt seit 8 Jahren in Deutschland. Das Asylverfahren verlief negativ, ein Folgeantrag zur Feststellung von zielstaatsbezogener Abschiebungshindernissen ist gerichtlich noch nicht entschieden. Erst am 28. April 2006 wird es am Verwaltungsgericht Schleswig dazu eine Anhörung geben.
Bereits im Januar 2005 stellte der Anwalt der Familie bei der Eutiner Ausländerbehörde einen Antrag auf Erteilung eines Auefenthaltstitels nach §25,5 Aufenthaltsgesetz wegen der schweren psychischen Erkrankung der Eheleute. Auch die jüngste Tochter ist in kinderpsychiatrischer Behandlung. Durch eine amtsärztliche Untersuchung war bereits im Jahr 2004 für die Eltern und die jüngste Tochter aufgrund schwerer Traumatisierung Reisunfähigkeit und weiterer Behandlungsbedarf festgestellt worden. 2005 folgten mehrere fachärztliche Atteste und für Frau D. ein ausführliches Gutachten über ihren problematischen Gesundheitszustand.
Anstatt dem Antrag auf Erteilung nach § 25,5 Aufenthaltsgesetz stattzugeben, verschärfte die Ausländerbehörde im September 2005 den Druck auf die Familie und drohte erneut die Abschiebung an. Infolge der daraufhin erfolgten schweren Dekompensation mussten die Eheleute mehrmonatig in stationäre Behandlung. Trotz der Atteste, Gutachten und der Krankenhausaufenthalte wurde durch die Ausländerbehörde nicht erneut amtsärztlich untersucht, sondern am 18.1.06 erneut die Abschiebung angedroht.
Ohne behördliche Ankündigung erschien am 8. März 06 abends die Ausländerbehörde mit großem Polizeiaufgebot, um die Familie abschieben zu lassen.
Auskunft zum Sachstand gibt auch Rechtsanwalt Michael Wulf, Kiel: T. 0431-567 963
gez. Heike Behrens
Lübecker Flüchtlingsforum
Tel.: 0171-2001756