Dabei steht in der öffentlichen Wahrnehmung das Wort “Ehrenmord” für eine religiöse - oft mit dem Islam verbundene - und kulturelle Rückständigkeit (oder “Minderwertigkeit”), die von den deutschen Medien gerne als das Gegenteil einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft verstanden wird. Teilweise wird mit Blick auf diese ohne Zweifel abscheulichen Taten darüber diskutiert, als ob die deutsche bzw. europäische Gesellschaft keine solche Gewalt und Verachtung von Frauen in der eigenen Kulturgeschichte und Gegenwart erlebt hätte.
Dabei wird gerne verschwiegen, dass die sog. “Ehrenmorde” keinerlei Grundlage im Islam haben, sondern ihr Ursprung in der Geschichte weit in vorchristliche und vorislamische Zeit zurück reicht und solche “Traditionen” keinesfalls nur auf den Orient und seine Völker beschränkt sind.
Seltsamerweise - obwohl dies aus Sicht der Frau als Opfer männlicher Gewalt überhaupt keinen Unterschied macht - wird in der medialen Diskussion strikt getrennt zwischen kulturell oder religiös motivierten sog. “Ehrenmorden” und den “Familientragödien”, die sich gleichzeitig in den klein- oder gutbürgerlichen deutschen Haushalten abspielen: Wenn ein Deutscher z.B. wegen beruflichem Scheitern, Überschuldung oder aus Eifersucht seine Frau und gar seine Kinder misshandelt oder umbringt, dann wird dies in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mit Herkunftskultur, sozialen Normen oder gesellschaftlichen Zwängen in Verbindung gebracht. Sondern es ist einfach eine individuelle “Tragödie”, die allein in der Persönlichkeit des Täters begründet liegt.
Warum diese Unterscheidungen? Warum werden über den sog. “Ehrenmord” von Hamburg tagelang Titelseiten gefüllt und finden sich über die “Familientragödien” in den überregionalen Zeitungen allenfalls kurze Meldungen in den Lokalteilen?
Die Antwort liegt auf der Hand: Die Gewalt in Einwandererfamilien veranschaulicht uns einmal mehr die Überlegenheit der deutschen “Kultur” und “Werte”. Darin kommt Gewalt gegen Frauen höchstens als das irregeleitete Verhalten Einzelner vor.
Der Internationale Frauentag ist gute Gelegenheit, sich wider sämtliche Tendenzdebatten zu erinnern, dass es seit mehr als 25 Jahren Frauenhäuser gibt. Und dass die alltägliche Gewalt gegen Frauen hierzulande in die deutsche Gesellschaft nicht von außen importiert worden ist, sondern im sozielen Alltag fest etabliert ist und sich in den sozialen Konflikten regelmäßig entlädt. Aber die Trennung zwischen sog. “Ehrenmorden” hier und "Familientragödien” oder “Amokläufen” dort hat auch einen anderen Grund: Vor dem Hintergrund der unterstellten Rückständigkeit der MigrantInnen akzeptiert die einheimische Bevölkerung allzu leicht deren alltägliche Diskriminierung, Ausbeutung, Abschiebung und Willkür, auch das administrative Auseinanderreißen von Familien leichter. Dem restriktiven Ausländerrecht oder der Asylnichtanerkennungspraxis wird applaudiert. Ausgrenzung und Marginalisierung bleiben mehrheitsgesellschaftlich konsensfähig. Dass die fremdenfeindliche Politik vor allem Frauen, Mütter, Töchter besonders hart trifft, interessiert dann kaum noch einen - das ist keine Schlagzeile wert.
Gerade am Weltfrauentag sollten wir darüber nachdenken, dass einer Frau, die Gewalt erleidet, die Religionszugehörigkeit oder abwegige soziale Motivation des Täters völlig egal ist. Und wir MedienkonsumentInnen sollten künftig genauer hinterfragen, warum bestimmte Diskriminierungstatbestände und Gewalttaten es auf die Titelseiten und in die Tagesschau schaffen und andere nicht.
gez. Farzaneh Vagdy-Voß, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.